Inhaltliche Positionen
Sommer 2018: Ich arbeite wie gewöhnlich als Kinderarzt im Klinikum Bad Hersfeld. Da kommt ein Jugendlicher zur Aufnahme, dem es gar nicht so gut geht. Zunächst klagt er über eher unspezifische Symptome und bei der Aufnahmeuntersuchung berichtet er davon. Eigentlich habe er wegen dieser "Kleinigkeiten" gar nicht in die Klinik kommen wollen; vor allem auch, weil er nun einen Schulausflug verpasst. Der Patient erzählt mir, dass seine Klasse nämlich völlig kostenlos zum Hessentag nach Korbach fahre. Die Bundeswehr übernehme alle Kosten.
Ich wundere mich, bin schockiert. Doch zunächst gibt es wichtigere Aufgaben, als darüber nachzudenken: Der Jugendliche hat nämlich ein ernsthaftes medizinisches Problem und muss dringend behandelt werden.
Gleich vorweg: Es wird alles gut gehen und dem Patienten geht es gut.
Doch wenngleich mich die Erkrankung des Patienten durchaus auch immer wieder beschäftigt, so mache ich mir auch Gedanken über das, was er da gesagt hat: Die Bundeswehr fährt also Schulklassen zum Hessentag?
Recherche ergibt: Stimmt!
So etwas ist für mich als Mediziner äußerst kritisch. In der Medizin haben wir eine gewisse Sensibilität für Sponsoring und Interessenskonflikte. Das Prinzip "Kaffeefahrt" ist alles andere als harmlos. Nicht umsonst übernimmt hier jemand die Kosten; natürlich verspricht man sich davon etwas. Man bekommt Gelegenheit, jungen Menschen die Bundeswehr als Wohltäter zu präesentieren. Und so etwas funktioniert besser, als man gemeinhin denkt. Wenn vielleicht auch nur unterbewusst, so bleibt doch eine positiv besetzte Assoziation. Unbewusst ist man dankbar, unbewusst - so wie eben auch Werbung funktioniert.
Ganz abgesehen davon fragt man sich natürlich auch, wie genau solche Ausflüge ablaufen; kann es sein, dass der Bus dann möglichst so hält, dass die Schulklasse direkt über das Bundeswehrgelände muss; gibt es gar eine Präsentationsveranstaltung?
Und wozu das Ganze? Also die Seite der Bundeswehr ist klar. Aber auf Seiten der Schule, der Schüler und der Eltern: Warum soll man so ein Angebot annehmen? Klar, es kostet nichts, die Schüler haben einen Ausflug; Eltern und Lehrer sparen Geld, der Lehrer braucht keinen Unterricht für diesen Tag vorzubereiten. Das ist es, was wir Interessenskonflikt nennen!
Das ist ein riesen Thema in der Medizin. Doch auch in der Bildung sollte das Thema präsent sein. Die Schule soll doch neutral sein, oder?
Vielleicht denken Lehrer und Eltern mal darüber nach, ob solche Angebote anzunehmen sind!
Wer das Thema interessant findet, mag sich nebenbei gern auch über Interessenskonflikte in der Medizin belesen; und warum es nicht unbedenklich ist, wenn Ihr Hausarzt bei einem Kongress kostenlos verpflegt wird: www.mezis.de
(Lucas Sichardt)